Neues zum Konsultationsverfahren - Verstöße gegen die Pflicht zur Unterrichtung der Agentur für Arbeit führen nicht automatisch zur Unwirksamkeit von Kündigungen | Re.Work | GÖRG Blog

Neues zum Konsultationsverfahren - Verstöße gegen die Pflicht zur Unterrichtung der Agentur für Arbeit führen nicht automatisch zur Unwirksamkeit von Kündigungen

Im Zusammenhang mit der obligatorischen Durchführung des Konsultationsverfahrens gemäß § 17 Abs. 2 KSchG im Zuge einer Betriebsänderung hat jüngst das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (Urteil vom 24.02.2021 - 17 Sa 890/20) entschieden, dass ein Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht des § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG nicht per se zur Unwirksamkeit ausgesprochener Kündigungen führt. Für Arbeitgeber ist dies eine gute Nachricht.

Die „Unterrichtungspflicht“ gemäß § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG

Die Regelung des § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG verpflichtet den Arbeitgeber, der zuständigen Agentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zur Einleitung des Konsultationsverfahrens zuzuleiten. Diese muss die Angaben gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 5 KSchG enthalten. Über die Kriterien für die Berechnung etwaiger Abfindungen (Nr. 6) muss die Agentur für Arbeit hingegen nicht unterrichtet werden. Das macht Sinn, betrachtet man den – auch für die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachen ausschlaggebenden – Sinn und Zweck der Beteiligung der Agentur für Arbeit: Diese soll in die Lage versetzt werden, sich frühzeitig auf die anstehenden Vermittlungsaktivitäten einstellen zu können.

Der Regelung des § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG zufolge, die insoweit über die Vorgaben von Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Massenentlassungsrichtlinie (RL 98/59/EG) hinausgeht, ist der Agentur für Arbeit die Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat „gleichzeitig“ mit der Unterrichtung des Betriebsrats zuzuleiten. Dies stellt die Praxis oft vor Probleme: Muss die Abschrift tatsächlich bereits an die Agentur für Arbeit übermittelt werden, wenn parallel der Betriebsrat informiert wird? Reicht es, wenn dies kurz danach erfolgt? Oder am Folgetag? Zwar spricht sich das arbeitsrechtliche Schrifttum in diesem Zusammenhang dafür aus, dass der Begriff „gleichzeitig“ im Sinne eines „zugleich erfolgend/auch noch“ zu verstehen sei, weshalb auch eine „zeitnahe“ Übermittlung an die Agentur für Arbeit ausreichen soll (vgl. nur Spelge, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Band 2, § 121 Rn. 150). Mit Blick auf die drohenden weitreichenden Folgen eines Verstoßes gegen die strengen Vorgaben des § 17 KSchG war die Praxis aber stets gut beraten, hier möglichst keine Zeit zu verlieren.


Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachen

Sollte das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachen durch das Bundesarbeitsgericht bestätigt werden (Revision wurde eingelegt – Az.: 6 AZR 155/21), könnte zukünftig in diesem Zusammenhang etwas Entspannung einkehren:

Denn das Landesarbeitsgericht entschied, dass ein Verstoß gegen die „Unterrichtungspflicht“ gemäß § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG nicht die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen nach sich ziehe, da es sich bei der Vorschrift nicht um ein „Verbotsgesetz“ im Sinne von § 134 BGB handele. Damit folgt das Landesarbeitsgericht Niedersachen nun einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 13.01.2015 (Az.: 7 Sa 900/14), das sich in vergleichbarer Weise geäußert hatte. Der Unterschied zu der jetzigen Entscheidung lag jedoch darin, dass der Agentur für Arbeit die Mitteilung an den Betriebsrat dort zumindest zu einem späteren Zeitpunkt noch zugeleitet wurde (nämlich zusammen mit der Massenentlassungsanzeige). Im Fall des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen blieb die eigentlich gebotene Zuleitung einer Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG an die zuständige Agentur für Arbeit hingegen ganz aus. Dass dies nach dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen gleichwohl nicht zur Unwirksamkeit sämtlicher im Nachgang ausgesprochenen Kündigungen führen soll, begründete das Gericht mit teleologischen Gesichtspunkten:

Die Vorschriften zur Konsultation des Betriebsrats und zur Erstattung der Massenentlassungsanzeige seien „Verbotsgesetze“ im Sinne von § 134 BGB, weil sie die von der Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer vor Arbeitslosigkeit bewahren sollen. Dieser Schutzzweck sei der Regelung des § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG hingegen nicht zu entnehmen: Insbesondere könne durch die dort geregelte „Vorabinformation“ der Agentur für Arbeit die Vermittlungstätigkeit der Arbeitsverwaltung weder vorbereitet noch erleichtert werden, da in diesem Zeitpunkt noch gar nicht feststehe, ob und wie viele Arbeitnehmer auf den Arbeitsmarkt gelangen und welche Arbeitnehmergruppen betroffen sein werden. Hierüber haben die Betriebsparteien gerade im Konsultationsverfahren zu verhandeln. Darüber hinaus hätte der Betriebsrat unter anderem gemäß § 92a BetrVG auch selbst die Möglichkeit, bereits frühzeitig im Rahmen der „Beschäftigungssicherungsberatungen“ einen Vertreter der Agentur für Arbeit hinzuzuziehen. Auch deshalb sei zur Sicherung des Gesetzeszwecks der frühzeitigen Information der Agentur für Arbeit die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen als Sanktion nicht erforderlich.

Fazit

Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Einzelfragen im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG noch nicht abschließend geklärt sind (wie etwa die Frage, ob bei der Zuleitung an die Agentur für Arbeit eine bestimmte Form einzuhalten ist), stellt die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen aus Sicht der Praxis eine wichtige Klarstellung dar und ist als solche zu begrüßen. Es wird abzuwarten sein, ob das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des LAG Niedersachen bestätigt. Wenngleich die Argumentation des Landesarbeitsgerichts überzeugt, könnte das Bundesarbeitsgericht insbesondere ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV für erforderlich erachten, um die Vereinbarkeit mit der Massenentlassungsrichtlinie (RL 98/59/EG) zu klären. Arbeitgeber, die die Vorgaben des § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG im Rahmen einer Betriebsänderung nicht eingehalten haben und sich dahingehenden Einwänden von Arbeitnehmern ausgesetzt sehen, werden diese Entscheidung jedoch erst einmal dankbar zur Kenntnis nehmen.

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