I. Annahmeverzugslohnrisiko bei Widerspruch gegen einen Betriebsübergang
Bei einem Betriebsübergang geht mit dem Übergang der Arbeitsverhältnisse auf den Betriebserwerber der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeiten beim Betriebsveräußerer einher. Dementsprechend wird der Betriebsveräußerer in Annahmeverzug versetzt, wenn ein Arbeitnehmer von seinem Recht, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a Abs. 6 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu widersprechen, Gebrauch macht.
II. Reduzierung des Annahmeverzugslohnrisikos durch das Angebot einer Beschäftigung beim Betriebserwerber im Rahmen einer befristeten Arbeitnehmerüberlassung
Abhilfe kann jedoch, wie das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19. Mai 2021 (Az. 5 AZR 420/20) zeigt, das Angebot einer Beschäftigung beim Betriebserwerber im Rahmen einer befristeten Arbeitnehmerüberlassung schaffen. Lehnt der Arbeitnehmer dieses Angebot ab, entfällt sein Vergütungsanspruch, da er sich gemäß § 615 S. 2 BGB den Verdienst anrechnen lassen muss, den er bei zumutbarer anderweitiger Verwendung seiner Arbeitskraft hätte erlangen können.
Ein Arbeitnehmer unterlässt böswillig anderweitigen Verdienst i.S.d. § 615 S. 2 BGB, wenn er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert. Maßgebend sind dabei die Gesamtumstände des Einzelfalls. Die Unzumutbarkeit der anderweitigen Arbeit kann sich unter verschiedenen Gesichtspunkten ergeben, so kann sie etwa ihren Grund in der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen haben.
In der zitierten Entscheidung erachtete das Bundesarbeitsgericht das Angebot einer Beschäftigung beim Betriebserwerber im Rahmen einer auf zwölf Monate befristeten Arbeitnehmerüberlassung als zumutbare anderweitige Beschäftigung. Zur Begründung führte das Bundesarbeitsgericht aus, dass der Arbeitnehmer nicht in ein „klassisches“ Leiharbeitsverhältnis hätte wechseln, sondern lediglich seine bisherige Arbeitsleistung zu den bisherigen Konditionen für einen Dritten hätte erbringen müssen. Dabei wäre er zwar, soweit es die Erbringung der Arbeitsleistung betrifft, (auch) dessen Direktionsrecht unterworfen gewesen, es sei jedoch nicht ersichtlich, welche konkreten und unzumutbaren Nachteile mit dem „gespaltenen Direktionsrecht“ für den Arbeitnehmer verbunden sein sollten. Eine Unzumutbarkeit lasse sich auch nicht aus einer etwaig fehlenden Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis des Betriebsveräußerers herleiten, da nach § 10 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) lediglich ein (befristetes) Arbeitsverhältnis mit dem Betriebserwerber ohne Aufgabe des bisherigen Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebsveräußerer entstanden wäre. Allerdings bleibe der Vergütungsanspruch trotz Ablehnung der zumutbaren Beschäftigungsmöglichkeit für krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeitszeiträume, sofern sie denn einen Entgeltfortzahlungsanspruch auslösen, sowie für Urlaubzeiten erhalten, da während dieser Zeiten eine Obliegenheit des Arbeitnehmers, anderweitigen Verdienst zu erzielen, mangels Arbeitsverpflichtung nicht bestehe.
III. Hinweise für die Praxis
Das Angebot einer Beschäftigung beim Betriebserwerber im Rahmen einer befristeten Arbeitnehmerüberlassung ist also ein valides Mittel, Annahmeverzugslohnansprüchen im Falle eines Widerspruchs gegen den Übergang eines Arbeitsverhältnisses zu verhindern. Betriebsveräußerern ist daher angeraten, mit dem Betriebserwerber Regelungen dazu zu treffen, wer die finanziellen Folgen von Widersprüchen gegen den Betriebsübergang trägt und inwiefern ein vorübergehender Verleih widersprechender Arbeitnehmer an den Betriebserwerber in Betracht kommt. Sofern man sich auf eine mögliche Arbeitnehmerüberlassung verständigt, sollte sich der Betriebsveräußerer rechtzeitig um eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis bemühen, da eine Arbeitnehmerüberlassung ohne entsprechende Erlaubnis das Beschäftigungsangebot für den Arbeitnehmer zwar nicht unzumutbar macht, sich jedoch als Ordnungswidrigkeit erweist. Zudem kann es sinnvoll sein, die Arbeitnehmer im Rahmen des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB auf die Möglichkeit des Verleihs an den Betriebserwerber hinzuweisen, um den Reiz eines Widerspruchs zu schwächen.