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Betriebsänderung

Betriebsänderung

Arbeitsrechtliche Restrukturierungsmaßnahmen erfüllen in der Regel die Voraussetzungen einer „Betriebsänderung“ im Sinne des § 111 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und unterliegen in mitbestimmten Betrieben daher diversen Mitbestimmungs- und Informationsrechten des Betriebsrats. Insbesondere ist der Betriebsrat im Rahmen des Interessenausgleichsverfahrens über die geplante Betriebsänderung zu unterrichten und diese ist mit ihm zu beraten. Ferner ist in aller Regel ein Sozialplan zu vereinbaren.

Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Betriebsänderung vorliegt, ist daher von zentraler Bedeutung:

Erforderliche Unternehmensgröße

Damit von einer Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG gesprochen wird, muss das Unternehmen zunächst eine Personalstärke von mehr als 20 (bei einer Betriebsratswahl wahlberechtigten) Arbeitnehmern haben. Obwohl der Anknüpfungspunkt für die Betriebsänderung der Betrieb ist, kommt es für das Erreichen dieses Schwellwertes auf das gesamte Unternehmen an. Leiharbeitnehmer zählen dabei jedenfalls dann mit, wenn sie länger als sechs Monate beschäftigt werden (§ 14 Absatz 2 Satz 4 AÜG i.V.m. § 111 Satz 1 BetrVG).

In kleinen Unternehmen mit nicht mehr als 20 Arbeitnehmern bestehen im Hinblick auf betriebliche Restrukturierungsmaßnahmen weder die Pflicht zum Versuch eines Interessenausgleichs noch die Pflicht zum Abschluss eines Sozialplans. Die in solchen Fällen ebenfalls begründeten Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in personellen Angelegenheiten – insbesondere das Anhörungsrecht vor Ausspruch einer Kündigung (§ 102 BetrVG) und das Beteiligungsrecht bei personellen Einzelmaßnahmen, z.B. einer Versetzung (§ 99 BetrVG) – sind aber selbstverständlich auch dann zu beachten.

Wann liegt eine Betriebsänderung vor?

Das Betriebsverfassungsrecht enthält keine abschließende Definition für den Begriff der Betriebsänderung, sondern es sieht einen – nicht abschließenden – Katalog an Fällen vor, die „als Betriebsänderung gelten“:

  1. Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen

    Beabsichtigt der Arbeitgeber die bestehende Betriebs- und Produktionsgemeinschaft aufzulösen, handelt es sich hierbei ohne Zweifel um eine geplante Betriebsänderung.

    Schwieriger ist bisweilen die Frage, ob es sich bei einer geplanten Maßnahme um die „Einschränkung“ eines Betriebes handelt. Dies kommt immer dann in Betracht, wenn der Betrieb als solcher zwar erhalten bleibt, aber die Betriebsleistung dauerhaft herabgesetzt werden soll. Um eine Betriebsänderung handelt es dann aber nur, wenn die Schwelle zur „Wesentlichkeit“ überschritten wird. Ist die Betriebsänderung mit einem Personalabbau verbunden, liegt die „Wesentlichkeit“ immer dann vor, wenn begrifflich eine „Massenentlassung“ vorliegt, d.h. die in § 17 KSchG hierfür genannten Schwellenwerte überschritten werden. Dies ist in Betrieben mit 21 – 59 Arbeitnehmern – sowie nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsrechts auch bereits in kleinen Betrieben mit nicht mehr als 20 Arbeitnehmern - der Fall, wenn 6 Arbeitnehmer entlassen werden sollen. In Betrieben mit 60 – 499 Arbeitnehmern liegt die Schwelle bei 10% der Belegschaft oder mehr als 25 Arbeitnehmern. In Betrieben mit mehr als 500 Arbeitnehmern wiederum liegt die Schwelle bei 30 Arbeitnehmern.

    Für die Frage, ob eine Betriebsänderung vorliegt, spielt es dabei allerdings keine Rolle, ob die Entlassungen – was § 17 KSchG voraussetzt – innerhalb eines Zeitraums von 30 Kalendertagen erfolgen. Auch bei Maßnahmen, die über einen längeren Zeitraum gestreckt werden, aber auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung beruhen, kommt es für die Frage, ob eine Betriebsänderung vorliegt oder nicht, auf die Gesamtzahl der Betroffenen an. Eine Zäsur tritt nur dann ein, wenn der Arbeitgeber eine neue unternehmerische Planung aufnimmt.

    Um eine Betriebsänderung handelt es sich auch, wenn der Arbeitgeber zwar nicht die Stilllegung oder Einschränkung des ganzen Betriebes plant, aber ein „wesentlicher Betriebsteil“ eingeschränkt oder stillgelegt werden soll. Auch die Frage, ob der Betriebsteil „wesentlich“ ist, ist in erster Linie anhand der o.g. Schwellen zu beantworten. Neben dieser rein quantitativen Betrachtung wird aber auch eine qualitative Betrachtung für möglich gehalten. In Ausnahmefällen sollen daher auch kleinere Betriebsteile aufgrund ihrer zentralen Bedeutung für den Betrieb insgesamt als „wesentlich“ gelten können, etwa weil der Betriebsteil in wirtschaftlicher Hinsicht besonders bedeutend ist oder seine Stilllegung oder Einschränkung nennenswerte Auswirkungen auf die übrigen Beschäftigten des Betriebes hat. Da diese Frage letztlich einer wertenden Betrachtung unterliegt, kann es sich in Zweifelsfällen zur Vermeidung von Rechtsnachteilen empfehlen, höchst vorsorglich den Betriebsrat nach §§ 111ff. BetrVG zu beteiligen.
  2. Verlegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen

    Eine wesentliche Ortsveränderung des Betriebs oder von Betriebsteilen stellt als „Verlegung“ eine Betriebsänderung dar, wenn diese wesentliche Nachteilen für die Belegschaft zur Folge haben kann. Eine geringfügige Ortsveränderung, etwa der Bezug neuer Büroräume im selben Gebäudekomplex, oder der Umzug in die unmittelbare Nachbarschaft, begründet keine Betriebsänderung. Allerdings wurde vom Bundesarbeitsgericht der Umzug eines Betriebes um lediglich 4,3 km vom Stadtzentrum an den Stadtrand sowie vom LAG Hessen innerhalb einer Großstadt mit einem Entfernungsunterschied von 5,5 km als wesentlich und damit als Betriebsänderung angesehen. Eine erhebliche räumliche Verlegung des Betriebs kann demgegenüber eine Betriebsstilllegung darstellen, wenn die alte Betriebsgemeinschaft aufgelöst wird und der Aufbau einer im Wesentlichen neuen Betriebsgemeinschaft am neuen Betriebssitz erfolgt.
  3. Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung von Betrieben

    Der Zusammenschluss zweier Betriebe oder eines Betriebsteils mit einem Betrieb stellt ebenfalls eine Betriebsänderung dar. Dabei spielt es keine Rolle, ob durch den Zusammenschluss ein „neuer“ Betrieb entsteht oder ob ein bestehender Betrieb durch Anschluss eines anderen Betriebs „wächst“. Entscheidendes Kriterium ist in beiden Fällen, dass sich die (Leitungs-)Organisation der bisherigen Einheiten ändert.

    Auch eine Betriebsspaltung stellt eine Betriebsänderung dar. Eine solche liegt vor, wenn aus einem ursprünglich einheitlichen Betrieb zwei oder mehr neue Einheiten entstehen. Die Stilllegung eines Betriebsteils stellt daher keine Spaltung dar. Anders als bei der Einschränkung oder Stilllegung eines Betriebsteils soll es bei der Spaltung nicht darauf ankommen, ob der abgespaltene Betriebsteil „wesentlich“ ist. Auch die Abspaltung kleiner Betriebsteile („Bagatellespaltung“) soll daher als Betriebsänderung gelten. Dies führt zu dem – mitunter absurden – Ergebnis, dass die (mit Kündigungen verbundene) Stilllegung eines kleinen Betriebsteils ohne Interessenausgleich und Sozialplan vollzogen werden kann, während die (in der Regel unter Erhalt der Arbeitsplätze erfolgende) Abspaltung desselben Betriebsteils der Interessenausgleichs- und Sozialplanpflicht unterliegt.
  4. Grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen

    Auch grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen stellen eine Betriebsänderung dar.

    Die Betriebsorganisation wird dann geändert, wenn der Betriebsaufbau, insbesondere die Zuständigkeiten und die Verantwortung umorganisiert werden. Für die Praxis lautet die Faustformel: Muss das Organigramm angepasst werden, liegt eine Änderung der Betriebsorganisation nahe. Eine Änderung des Betriebszwecks liegt hingegen erst dann vor, wenn die arbeitstechnische Zwecksetzung des Betriebes nachhaltig geändert wird. Von Änderungen der Betriebsanlagen ist auszugehen, wenn nicht nur unwesentliche Betriebsmittel verändert werden, also z.B. neuartige Maschinen, ein EDV-System oder Bildschirmarbeitsplätze eingeführt werden.

    Grundlegend - und damit erst eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG - ist eine der vorgenannten Änderung indes erst, wenn sie maßgebliche Auswirkungen auf den Betriebsablauf hat und erhebliche Bedeutung für das betriebliche Gesamtgeschehen aufweist.
  5. Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren

    Die Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren stellt ebenfalls eine Betriebsänderung dar. Um „grundlegende“ Änderungen handelt es sich nur dann, wenn diese maßgebliche Auswirkungen auf den Betriebsablauf und erhebliche Bedeutung für das betriebliche Gesamtgeschehen haben. Neue Arbeitsmethoden sind beispielsweise der Wechsel von fester Wochenarbeitszeit zum systematischen Einsatz von Teilzeitarbeitnehmern mit flexibler Arbeitszeit, der Wechsel von herkömmlichen Kassen zu Selbstbedienungskassen. Ferner können unter diesen Tatbestand sonstige Rationalisierungsmaßnahmen fallen, die erhebliche Auswirkungen auf den Betrieb haben.

Fazit

Die Frage, ob die von einem Arbeitgeber geplanten Maßnahmen die Voraussetzungen einer „Betriebsänderung“ erfüllen, ist als zentrale Weichenstellung auf dem Weg zur Umsetzung dieser Pläne im frühen Planungsstadium zu klären. Liegt eine geplante Betriebsänderung vor, ist das Verfahren über den Interessenausgleich und Sozialplan einzuhalten, was eine sorgfältige Vorbereitung voraussetzt. Nicht zuletzt da Verletzungen dieses Verfahrens zu Unterlassungsansprüchen des Betriebsrats, aber auch zu (wirtschaftlich erheblichen) Nachteilsausgleichsansprüchen und Bußgeldern führen können, sollte die Frage, ob eine Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG vorliegt, sorgfältig geprüft werden.

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