Rechtsprechung zur Diskriminierung wegen des Geschlechts und des Alters durch Sozialplanklauseln | Re.Work | GÖRG Blog

Rechtsprechung zur Diskriminierung wegen des Geschlechts und des Alters durch Sozialplanklauseln

1. Diskriminierung bei der Nichtgewährung von Kinderzuschlägen

Das Landesarbeitsgericht Hessen (LAG Hessen, 28.10.2020 – 18 Sa 22/20) hat sich mit der Frage befasst, ob der Kinderzuschlag in einem Sozialplan von der Eintragung auf der Lohnsteuerkarte abhängig gemacht werden darf.

a. Zusammenfassung des Sachverhalts:

Die verheiratete Klägerin ist Mutter von zwei minderjährigen Kindern. Sie hat die Lohnsteuerklasse V gewählt. Die Klägerin hat mit der Beklagten im April 2019 einen Aufhebungsvertrag geschlossen. Ausweislich des Aufhebungsvertrags steht ihr für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung nach dem geltenden Sozialplan zu. Aufgrund des Sozialplans der Beklagten erhielt die Klägerin zunächst eine Abfindung in Höhe von ca. 24.000 €. Der Sozialplan enthält zudem eine Klausel, wonach sich die Abfindung um 5.000 € pro Kind erhöht, das zum Stichtag auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitnehmers eingetragen ist. Da letzteres bei der Steuerklasse V nicht der Fall ist, verweigerte die Beklagte die Zahlung der Kinderzuschläge für die zwei Kinder der Klägerin.

Die Klägerin macht die Zahlung der Kinderzuschläge gerichtlich geltend. Sie trägt vor, sie würde durch die Sozialplanklausel mittelbar wegen ihres Geschlechts diskriminiert, da gem. § 38b Abs. 2 EStG bei der Lohnsteuerklasse V keine Möglichkeit bestehe, die beiden Kinder bei den Steuermerkmalen zu berücksichtigen.

Das Arbeitsgericht Darmstadt hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass kein Verstoß gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vorliege, da die Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt sei. Die Anknüpfung an den Kinderfreibetrag sei praktikabel und erlaube eine Kalkulation anhand feststellbarer Kriterien. Zudem müsse die Klägerin nicht zwangsläufig die Lohnsteuerklasse V wählen. Gegen das Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt.

b. Zusammenfassung der LAG-Entscheidung:

Die Berufung war erfolgreich. Das LAG Hessen nimmt an, dass die Sozialplanklausel gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichheitssatz verstoße und unwirksam sei. Der Klägerin stünden die Kinderzuschläge zu. Da es keine Lohnsteuerkarten mehr gäbe, sei die Klausel so auszulegen, dass der Kinderfreibetrag als Lohnsteuerabzugsmerkmal gem. §§ 38b Abs. 2, 39 Abs. 1, 4 Nr. 2 EStG berücksichtigt werde. Da Kinderfreibeträge bei der Steuerklasse V nicht berücksichtigt werden, seien Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit dieser Steuerklasse automatisch durch die Klausel ausgeschlossen. Darin liege eine mittelbare Benachteiligung von Frauen, da mehr Frauen als Männer die Steuerklasse V wählen. Die Regelung verfolge zwar ein rechtmäßiges Ziel, nämlich die Abfindungen zu beschränken, um das Sozialplanvolumen nicht zu übersteigen. Allerdings sei das Abstellen auf das Lohnsteuerabzugsmerkmal „Kinderfreibetrag“ weder angemessen noch erforderlich. Die gewählte Klausel blende zudem aus, dass zweifelsfrei bestehende Unterhaltspflichten von vornherein nicht vollständig erfasst werden. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde zugelassen.

c. Möglichkeiten zur diskriminierungsfreien Gestaltung:

Das LAG Hessen geht davon aus, dass die voraussichtlichen Sozialplankosten anhand einer Schätzung, wie viele Arbeitnehmer der Lohnsteuerklasse V unterhaltsberechtigte Kinder haben, möglich gewesen wäre. Insbesondere bestehe aber die Möglichkeit, die Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern auf einem anderen Weg als über das Lohnsteuermerkmal Kinderfreibetrag nachzuweisen. In Betracht komme z. B. der Nachweis über den Anspruch auf Kindergeld eines der beiden miteinander verheirateten Ehegatten.

Der Sozialplan hätte die Nachweismöglichkeit aber auch offenlassen und schlicht regeln können, dass die Unterhaltsberechtigung eines Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, in geeigneter Weise nachgewiesen werden kann (vgl. LAG Hessen, Urteil vom 10.03.2021 – 19 Sa 1041/20).

Das LAG führt weiter aus, dass im konkreten Fall hinzukomme, dass es sich um einen freiwilligen Personalabbau handele. Der Arbeitgeber habe ohnehin die persönlichen Voraussetzungen aller betroffenen Arbeitnehmer im Einzelnen prüfen müssen. Dabei hätte er sich auch nach der Anzahl unterhaltsberechtigter Kinder erkundigen und entsprechende Nachweise verlangen können. Die anderweitige Überprüfung einer Unterhaltspflicht würde also keinen höheren Verwaltungsaufwand mit sich bringen.

2. Keine Altersdiskriminierung durch Vereinbarung einer Höchstabfindungsgrenze im Sozialplan

Das LAG Hessen (10.03.2021 – 19 Sa 1041/20) hat sich mit der Frage befasst, ob die Vereinbarung einer Höchstabfindungsgrenze im Sozialplan zulässig ist. Es kommt zu dem Ergebnis, dass die Klausel zulässig sei. Das LAG Hessen hat allerdings die Revision nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

a) Zusammenfassung des Sachverhalts:

Der Arbeitnehmer hat aufgrund einer Betriebsstillegung seine Arbeitsstelle verloren. Er hat Anspruch auf eine Sozialplanabfindung. Zur Berechnung enthält der Sozialplan unter anderem die Regelung, dass die Abfindungsobergrenze für die Grundabfindung 230.000 € beträgt.

Das Unternehmen zahlte dem Arbeitnehmer eine Abfindung in Höhe von 238.000 €. Diese setzt sich aus der Grundabfindung von 230.000 € und Zuschlägen aufgrund zweier Kinder sowie der Lebensgefährtin des Arbeitnehmers zusammen. Ohne die Obergrenze der Grundabfindung wäre die Abfindung um 52.741,63 € höher ausgefallen.

Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt, welches in der „Deckelung“ der Abfindung weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Altersdiskriminierung sah, legte der Arbeitnehmer Berufung ein.

b) Zusammenfassung der Entscheidung:

Das LAG Hessen ist ebenfalls der Ansicht, dass die Deckelung der Grundabfindung keine Altersdiskriminierung darstelle und nicht gegen § 75 Abs. 1 BetrVG i.V.m. § 7 Abs. 2 AGG verstoße. Der Arbeitnehmer habe keinen Anspruch auf Zahlung weiterer 52.741,63 €. Die Sozialplanregelung, die die Grundabfindung auf 230.000 € beschränke, knüpfe allenfalls mittelbar an das Alter an. Ursache hierfür sei, dass nicht nur die Dauer der Betriebszugehörigkeit, sondern auch die Höhe des Bruttoeinkommens für das Erreichen der Abfindungsobergrenze entscheidend sei. Die mittelbare Anknüpfung an das Alter sei nach § 3 Abs. 2 und § 10 S. 3 Nr. 6 AGG zudem zulässig, da der Sozialplan das rechtmäßige Ziel verfolge, die Abfindungshöhe für wirtschaftlich abgesicherte Arbeitnehmer zu begrenzen und das begrenzte Sozialplanvolumen gerecht zu verteilen. Hinsichtlich der Maßnahmen, die gewählt werden, um das Ziel zu erreichen, bestehe ein Ermessensspielraum. Die gewählte Formel zur Deckelung der Grundabfindung sei zur Zielerreichung geeignet. Das LAG Hessen erkennt dabei keine Überschreitung des Ermessensspielraums der Betriebsparteien. Von der Deckelung seien zwar überwiegend ältere Arbeitnehmer betroffen. Dennoch seien sie aufgrund der Höhe der Grundabfindung ausreichend abgesichert. Schließlich würde die Deckelung der Abfindung auch bei gut verdienenden Arbeitnehmern erst nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit erreicht. Es bestehe keine Pflicht alle Jahre der Betriebszugehörigkeit gleich zu berücksichtigen. Aufgrund der Entscheidung für die Deckelung der Abfindung könnten auch Arbeitnehmer mit einer kürzeren Betriebszugehörigkeit durch die Zahlung einer hohen Abfindung abgesichert werden. Diese Entscheidung liege im Gestaltungsermessen der Betriebsparteien. Die Klausel sei auch angemessen und erforderlich.

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