Sonderkündigungsschutztatbestände im Arbeitsrecht | Re.Work | GÖRG Blog

Sonderkündigungsschutztatbestände im Arbeitsrecht

Grundsätzlich genießen alle Arbeitnehmer Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz, sobald sie länger als sechs Monate in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmern beschäftigt sind. Hat ein Arbeitnehmer eine besondere Stellung im Betrieb inne oder liegen bei ihm besondere persönliche Umstände vor, gewährt ihm das deutsche Arbeitsrecht darüber hinaus einen Sonderkündigungsschutz. Insbesondere im Rahmen arbeitsrechtlicher Restrukturierungsmaßnahmen sind diese Tatbestände im Blick zu behalten.

In einer aktuellen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 11.5.2021 – 5 Sa 263/20) war der Sonderkündigungsschutz in der Elternzeit entscheidend. Das LAG hat entscheiden, dass die Kündigung eines sich in Elternzeit befindenden Arbeitnehmers auch rückwirkend unwirksam sein kann. Im konkreten Fall wurde zunächst erteilte behördliche Zustimmung zur Kündigung wieder aufgehoben. Dies führte zur rückwirkenden Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung.

Diese Entscheidung möchten wir zum Anlass nehmen, um nochmals auf die in der Praxis häufigsten und damit wichtigsten Sonderkündigungstatbestände des Arbeitsrechts hinzuweisen. Unterteilen lassen sie sich in absolute Kündigungsverbote und sogenannte Zustimmungsvorbehalte.

I. Absolute Kündigungsverbote

Absolute Kündigungsverbote bestehen insbesondere dann, wenn einem Arbeitnehmer eine besonders schutzwürdige Rolle im Betrieb zukommt.

Betriebsratsmitglieder und sonstige Arbeitnehmervertreter:

§ 15 Abs. 1 KSchG sieht einen besonderen Kündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder vor. Der Schutz besteht während der Amtszeit und wirkt ab deren Beendigung noch ein Jahr lang nach. Inhaltlich wird eine ordentliche Kündigung gegenüber einem Betriebsratsmitglied für unzulässig erklärt. Im Falle einer Betriebsstilllegung wirkt der Schutz dahingehend, dass die Kündigung frühestens zum Zeitpunkt der Stilllegung wirksam wird.
Eine außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds bleibt zwar möglich, setzt aber gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG die vorherige Zustimmung des Betriebsrats voraus. Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung, kann diese gerichtlich ersetzt werden, wenn die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung erfüllt sind. Eine bloße Verletzung von Amtspflichten des Betriebsratsmitglieds ist allerdings nicht ausreichend, um einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darzustellen. Hierzu bedarf es der Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, also solcher Pflichten, die mit dem Amt als Betriebsrat nicht in Zusammenhang stehen.

Auch Ersatzmitglieder können Sonderkündigungsschutz genießen. Während sie ein reguläres Betriebsratsmitglied vertreten, rutschen sie in die Position als Betriebsrat und erlangen dadurch denselben Schutz, der nach Beendigung des Vertretungsfalls ebenfalls ein Jahr nachwirkt. Der Schutz greift sogar dann, wenn während der Vertretung gar keine Betriebsratsaufgaben zu erledigen sind.

Auch sonstige Arbeitnehmervertreter, wie bspw. die Mitglieder einer Personalvertretung, Schwerbehindertenvertretung oder einer Jugend- und Auszubildendenvertretung, Mitglieder des Wahlvorstandes, Wahlbewerber sowie neuerdings auch die Initiatoren einer Betriebsratswahl genießen besonderen Kündigungsschutz nach § 15 KSchG.

Besonders im Jahr der Betriebsratswahlen kann es sich daher ergeben, dass sich eine Vielzahl von Arbeitnehmern des Betriebes – nämlich alle Wahlbewerber – auf Sonderkündigungsschutz berufen können. Dieser Schutz gilt ab Aufstellung des Wahlvorschlages und er endet – für erfolglose Wahlbewerber – erst 6 Monate nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses.

Auszubildende:

Sonderkündigungsschutz greift ebenfalls bei Auszubildenden. Nach Ablauf der Probezeit ist für den Arbeitgeber gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen. Eine außerordentliche Kündigung bleibt möglich, setzt aber voraus, dass das Ausbildungsziel erheblich gefährdet und die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses unzumutbar ist.

Betrieblich Beauftragte:

Weitere Sonderkündigungstatbestände gelten für betrieblich Beauftragte. Hierzu gehört unter anderem der aufgrund gesetzlicher Verpflichtung bestellte Datenschutzbeauftragte. Gegenüber diesem ist eine ordentliche Kündigung ab dem Zeitpunkt der Bestellung zum Datenschutzbeauftragten und bis zu einem Jahr nach dessen Abberufung unzulässig. Gleiches gilt für den Immissionsschutzbeauftragten, den Störfallbeauftragten, den Abfallbeauftragten sowie den Gewässerschutzbeauftragten.

II. Zustimmungsvorbehalte

Einen etwas geringeren Schutz bieten die als Zustimmungsvorbehalte ausgestalteten Sonderkündigungstatbestände:

Schwangere und Mütter:

Bekanntestes Beispiel hierfür ist der Schutz (werdender) Mütter aus § 17 Abs. 1 MuSchG. Dieser schließt sowohl die ordentliche als auch die außerordentliche Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft, bis zum Ablauf von vier Monaten nach einer Fehlgeburt sowie für einen Zeitraum von mindestens vier Monaten nach einer Entbindung aus. Der Schutz greift, wenn dem Arbeitgeber die Schwangerschaft bekannt ist oder ihm diese innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Eine vorherige Kenntnis des Arbeitgebers ist daher nicht nötig.


Der Sonderkündigungsschutz beginnt 280 Tage vor dem voraussichtlichen Geburtstermin. Bei Früh- und Mehrlingsgeburten sowie bei einer Behinderung des Kindes verlängert sich der Schutz.


Ein im Voraus erklärter Verzicht auf den Sonderkündigungsschutz ist unwirksam.

Nach § 17 Abs. 2 MuSchG kann die zuständige oberste Landesbehörde auf Antrag des Arbeitgebers eine Kündigung jedoch ausnahmsweise für zulässig erklären. Bei einer außerordentlichen Kündigung ist für den Antrag des Arbeitgebers bei der Behörde die zweiwöchige Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu wahren.
Die Zustimmung steht im Ermessen der Behörde und setzt voraus, dass es sich um einen besonderen Fall handelt, der nicht mit dem Zustand der Frau während oder nach der Schwangerschaft im Zusammenhang steht. Die vom Gesetzgeber als vorrangig angesehenen Interessen der Arbeitnehmerin treten nur dann zurück, wenn außergewöhnliche Umstände gegeben sind. Verhaltensbedingte und betriebsbedingte Gründe können eine ausnahmsweise Zustimmung rechtfertigen, personenbedingte Gründe reichen in der Regel aber nicht aus. Gegen die Erteilung oder Ablehnung der Zustimmung kann mit Widerspruch oder Klage vor dem Verwaltungsgericht vorgegangen werden.

Dass auch die nachträgliche Aufhebung einer zunächst erteilten Zustimmung die Unwirksamkeit der Kündigung bewirkt, hat das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern wie eingangs erwähnt erst kürzlich für den Sonderkündigungstatbestand der Elternzeit klargestellt.

Eltern- und Pflegezeit:

Der besondere Kündigungsschutz gegenüber Arbeitnehmern in Eltern- oder Pflegezeit weist Parallelen zu § 17 MuSchG auf. Sowohl die ordentliche als auch die außerordentliche Kündigung werden nach § 18 BEEG beziehungsweise § 5 PflegeZG grundsätzlich ausgeschlossen. Auch hier ist eine Kündigung jedoch in besonderen Fällen unter der Voraussetzung, dass die zuständige Behörde die Zulässigkeit erklärt hat, möglich.

Der Beginn des besonderen Kündigungsschutzes für Elternzeitler richtet sich nach dem Alter des Kindes, liegt jedoch keinesfalls mehr als acht Wochen vor dem Antritt der Elternzeit. Bei Arbeitnehmern, die Pflegezeit beantragen, setzt er frühestens zwölf Wochen vor dem Beginn der Pflegezeit ein. In beiden Fällen wirkt der Sonderkündigungsschutz nicht nach, sondern endet mit Beendigung der Eltern- beziehungsweise Pflegezeit.

Schwerbehinderte Arbeitnehmer:

Auch schwerbehinderte sowie mit schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate besteht, genießen Sonderkündigungsschutz. Der Schutz greift auch für Arbeitnehmer, deren Schwerbehinderung oder Gleichstellung (noch) nicht behördlich anerkannt ist, wenn er mindestens 3 Wochen vor Zugang der Kündigung den Antrag auf Feststellung der Behinderung gestellt hat und dieser schließlich positiv beschieden wird.

Greift der Sonderkündigungsschutz ist sowohl für die ordentliche als auch für die außerordentliche Kündigung eine vorherige Zustimmung des Integrationsamtes erforderlich.
Hat das Integrationsamt seine Zustimmung erteilt oder greift ausnahmsweise eine Zustimmungsfiktion, so ist Arbeitgeber berechtigt, eine ordentliche Kündigung innerhalb von vier Wochen und eine außerordentliche Kündigung unverzüglich auszusprechen. Für eine ordentliche Kündigung gilt eine Mindestkündigungsfrist von vier Wochen.
Zu beachten ist noch, dass Arbeitnehmer, deren Kündigung unter einem behördlichen Zustimmungsvorbehalt steht, bei einer betriebsbedingten Kündigung in die Sozialauswahl einzubeziehen sind, wenn die Zustimmung erteilt ist. Nach überwiegender Ansicht steht es dem Arbeitgeber jedoch frei, den Antrag auf Erteilung der Zustimmung zu stellen. Er kann ebenso die gesetzgeberische Wertung der besonderen Schutzbedürftigkeit akzeptieren und davon absehen.

Die einzelnen Sonderkündigungstatbestände können auch kumulativ greifen - die Anforderungen an eine Kündigung sind dann jeweils zu berücksichtigen, d.h. es ist ggf. von mehreren Behörden die Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung einzuholen.

III. Fazit

Der Gesetzgeber gewährt bestimmten Personengruppen besonderen Kündigungsschutz. Sofern in diesen Fällen überhaupt möglich, muss der Arbeitgeber eine Vielfalt an Vorschriften berücksichtigen, um eine wirksame Kündigung auszusprechen. Im Rahmen von Betriebsänderungen ist stets darauf zu achten, welche Arbeitnehmer über welche Art eines Sonderkündigungsschutzes verfügen. Ob eine (betriebsbedingte) Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer dieser besonders geschützten Gruppen ausnahmsweise möglich ist, bedarf sorgfältiger Prüfung. Im Hinblick auf die zeitliche Planung ist zudem die Verfahrensdauer zur Einholung der behördlichen Zustimmung zu berücksichtigen.

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