Einleitung
Entgegen vielfach geäußerter Befürchtungen scheinen die aufgrund der Corona-Pandemie ergriffenen Maßnahmen bislang – nicht zuletzt wegen massiver staatlicher Subventionen – nicht zu einem Anstieg der gemeldeten Unternehmensinsolvenzen geführt zu haben. Im Jahr 2020 gab es in Deutschland lediglich rund 15.800 Unternehmensinsolvenzen. Die Zahl sank damit auf den niedrigsten Stand seit Einführung der Insolvenzordnung im Jahr 1999. Im 1. Quartal 2021 wurden zudem knapp 20% weniger Unternehmensinsolvenzen als im 1. Quartal 2020, im Mai 2021 wurden sogar knapp 26% weniger Unternehmensinsolvenzen als im Mai 2020 gemeldet.
Diese niedrigen Zahlen dürften zu einem Teil der bis 30. April 2021 weitgehend aufgehobenen Insolvenzantragspflicht geschuldet sein. Ob die Zahl der Unternehmensinsolvenzen mit uneingeschränkt geltender Insolvenzantragspflicht künftig wieder steigt, wird sich zeigen.
Unabhängig davon belegen diese Zahlen, dass Unternehmensinsolvenzen ein alltägliches Phänomen in Deutschland sind.
Eine Insolvenz bedeutet nicht zwangsläufig das Ende der Existenz des betroffenen Unternehmens. Nicht selten ist es möglich, die Profitabilität eines insolventen Unternehmens durch Sanierungen wiederherzustellen oder durch Teilverkäufe gewinnbringende Unternehmensbereiche zu erhalten.
Sanierungen sind in der Regel mit Betriebsänderungen im Sinne von § 111 BetrVG verbunden. Bei Betriebsänderungen hat der Betriebsrat die in §§ 111 ff. BetrVG geregelten Beteiligungsrechte, wozu insbesondere der Versuch eines Interessenausgleichs sowie grundsätzlich der Abschluss eines Sozialplans gemäß § 112 BetrVG gehören. Wird Personal abgebaut, muss der Arbeitgeber das Kündigungsschutzgesetz sowie ggf. weitere besondere Vorschriften zum Kündigungsschutz beachten.
Die Vorschriften über die Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Betriebsänderungen sowie zum gesetzlichen Kündigungsschutz sind grundsätzlich auch in der Insolvenz anwendbar. Es gelten jedoch Besonderheiten.
Diese in den §§ 121 bis 128 InsO geregelten Besonderheiten sollen im nachfolgenden Beitrag kursorisch erörtert und bewertet werden. Der Beitrag besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil befasst sich mit den betriebsverfassungsrechtlichen, der zweite Teil mit den kündigungsschutzrechtlichen Modifizierungen.
Erster Teil: Die betriebsverfassungsrechtlichen Sonderregelungen im Einzelnen
I. Betriebsänderungen und Vermittlungsverfahren
Grundsätzlich kann nach § 112 Abs. 2 S. 1 BetrVG jede Betriebspartei den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (oder einen Vertreter) um Vermittlung ersuchen, wenn ein Interessenausgleich über eine geplante Betriebsänderung oder über den Sozialplan nicht zustande kommt. Erst, wenn kein Vermittlungsersuchen erfolgt oder der Vermittlungsversuch ergebnislos bleibt, können der Unternehmer oder der Betriebsrat zur Beilegung der Meinungsverschiedenheiten über den Interessenausgleich die Einigungsstelle anrufen, § 112 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1 BetrVG.
Gemäß § 121 InsO ist das vorgenannte Verfahren in der Insolvenz mit der Maßgabe durchzuführen, dass der Einigungsstelle nur dann ein Vermittlungsversuch durch den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit vorangeht, wenn der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat gemeinsam um eine solche Vermittlung ersuchen. Der Insolvenzverwalter kann also auch gegen den Willen des Betriebsrats nach Scheitern der innerbetrieblichen Interessenausgleichsverhandlungen unmittelbar die Einigungsstelle anrufen, ohne zunächst einen Vermittlungsversuch unternehmen zu müssen.
Dem Gesetzgeber ging es darum, dem Insolvenzverwalter bei Scheitern der innerbetrieblichen Interessenausgleichsverhandlungen zu ermöglichen, zügiger die Einigungsstelle anzurufen. Diese Absicht ist anerkennenswert, schließlich gilt in einer Insolvenz der Grundsatz „Zeit ist Geld“ umso mehr. Der zeitliche Vorteil dürfte hier in der Regel aber vernachlässigenswert sein. Nach überwiegend vertretener Meinung kann der Arbeitgeber ein Vermittlungsersuchen des Betriebsrats ohne zeitaufwändige Verhandlungen für gescheitert erklären und die Interessenausgleichsverhandlungen in der Einigungsstelle fortsetzen.
II. Gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung
Auch § 122 InsO bezweckt eine zeitliche Straffung des Interessenausgleichsverfahrens. Der Insolvenzverwalter kann die Zustimmung des Arbeitsgerichts dazu beantragen, eine Betriebsänderung umzusetzen, ohne zuvor mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich versucht zu haben. Voraussetzung für die Zustimmung des Arbeitsgerichts ist zum einen, dass zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat nicht innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen ein Interessenausgleich zustande gekommen ist, obwohl der Insolvenzverwalter den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet hat. Zum anderen ist Voraussetzung, dass die wirtschaftliche Lage des Unternehmens auch unter Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer erfordert, die Betriebsänderung ohne vorherigen Versuch eines Interessenausgleichs durchzuführen.
Erteilt das Arbeitsgericht seine Zustimmung, kann der Insolvenzverwalter eine Betriebsänderung durchführen, ohne gegenüber den von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmern zum Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG verpflichtet zu sein
Das gerichtliche Zustimmungsverfahren wird zum einen dadurch beschleunigt, dass die Anträge auf Zustimmung zur Durchführung der Betriebsänderung vom Arbeitsgericht vorrangig zu erledigen sind. Zum anderen kann der Beschluss des Arbeitsgerichts nicht mit der Beschwerde beim Landesarbeitsgericht angefochten werden. Das einzige Rechtsmittel ist die zugelassene Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht. In aller Regel wird der Insolvenzverwalter also mangels Zulassung der Rechtsbeschwerde mit Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens die Betriebsänderung durchführen können.
Der Gesetzgeber nahm – zutreffend – an, dass Interessenausgleichsverhandlungen mit dem Betriebsrat häufig „zeitraubend“ sind. Auf Betriebsratsseite besteht, insbesondere bei personalabbauenden Maßnahmen, nicht selten ein Interesse daran, Interessenausgleichsverhandlungen in die Länge zu ziehen oder gar zu verschleppen, um Kündigungen hinauszuzögern und damit einhergehend Gehaltszahlungen zu verlängern. Möglichkeiten zur Verzögerung des Verfahrens bietet vor allem die Pflicht des Arbeitgebers, den Betriebsrat bei Betriebsänderungen rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und die geplante Betriebsänderung mit ihm zu beraten. Vertiefte und wiederholte Nachfragen sowie die Vorlage unterschiedlicher Alternativkonzepte zur geplanten Betriebsänderung oder zur Milderung ihrer Folgen kann der Arbeitgeber nicht einfach ungeprüft und ohne jede Auseinandersetzung übergehen. Einen Verstoß gegen seine Unterrichtungs- und Beratungspflicht wird der Insolvenzverwalter kaum riskieren, droht ihm doch bei einem unzureichenden Versuch eines Interessenausgleichs die Pflicht zum Nachteilsausgleich.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Vorschrift des § 122 InsO aus Sicht des Insolvenzverwalters zunächst äußerst sinnvoll, zumal der Insolvenzverwalter das Zustimmungsverfahren beim Arbeitsgericht parallel zu Verhandlungen mit dem Betriebsrat über den Interessenausgleich führen kann.
Doch selbst in diesem Fall wird der Zeitgewinn gegenüber der Durchführung von Interessenausgleichsverhandlungen bis zu einem Scheitern vor der Einigungsstelle nicht sonderlich groß sein. Zwar sind die Anträge auf Zustimmung zur Durchführung der Betriebsänderung von den Arbeitsgerichten vorrangig zu erledigen. Bei deren Überlastung können trotz der Pflicht zur vorrangigen Erledigung des Verfahrens bis zur Entscheidung hingegen einige Monate vergehen. Hier sind die Erfahrungswerte aus Kündigungsschutzstreitigkeiten übertragbar, die ebenfalls vorrangig zu erledigen sind und bis zur erstinstanzlichen Entscheidung durchschnittlich drei bis fünf Monate dauern. In dieser Zeit ist aber auch der reguläre Abschluss eines Interessenausgleichsverfahrens inklusive Verhandlung und ggf. deren Scheitern in der Einigungsstelle realistisch, selbst wenn der Betriebsrat es auf Verzögerung des Verfahrens anlegt – was verständige Betriebsräte im eröffneten Insolvenzverfahren erfahrungsgemäß jedoch in der Regel nicht tun.
§ 122 InsO hat daher in der Praxis wenig Bedeutung. Die Vorschrift hat dennoch eine Existenzberechtigung. Die Interessenausgleichsverhandlungen können nämlich parallel zum Verfahren nach § 122 InsO weitergeführt werden. Möglicherweise ist der Betriebsrat durch das anhängige Beschlussverfahren motiviert, zügig einen Interessenausgleich abzuschließen, damit dort wenigstens einige seiner Interessen berücksichtigt werden können. Denn mit Abschluss des Beschlussverfahrens kann der Insolvenzverwalter die Betriebsänderung ohne die Berücksichtigung der Einwände und Vorschläge des Betriebsrats durchführen, ohne dass die Einigungsstelle das Scheitern der Verhandlungen festgestellt haben muss.
Einen größeren Zeitgewinn würde es allerdings bedeuten, wenn die Zustimmung des Arbeitsgerichts nach § 122 InsO im Wege der einstweiligen Verfügung (vorläufig) eingeholt werden könnte. Eine solche einstweilige Verfügung soll jedoch nur dann ergehen können, wenn anderenfalls schwere Nachteile für die Masse drohten oder die geplante Betriebsänderung bei weiterem Zuwarten ihren Sinn verlöre. Geklärt ist die Zulässigkeit einstweiliger Verfügungen zur Durchführung einer Betriebsänderung ohne den Versuch eines Interessenausgleichs in Literatur und Rechtsprechung aber nicht. Problematisch ist vor allem, welche Rechtsfolge eine abweichende Entscheidung in der Hauptsache hat. Dem Insolvenzverwalter wäre mit einer vorläufigen Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung nicht viel geholfen, wenn ihm das Arbeitsgericht im Hauptsacheverfahren die Zustimmung verwehren könnte und er sich ggf. Nachteilsausgleichsansprüchen ausgesetzt sieht.
III. Umfang des Sozialplans
Während die vorgenannten §§ 121 f. InsO das Interessenausgleichsverfahren modifizieren, sehen die §§ 123 f. InsO die Deckelung des Sozialplanvolumens vor. Dadurch soll der Massearmut durch Sozialplanforderungen in der Insolvenz entgegengewirkt werden. § 123 InsO formuliert zu diesem Zweck zwei Beschränkungen des Sozialplanvolumens. Zum einen ist das Sozialplanvolumen auf einen Gesamtbetrag von 2,5 Monatsverdiensten der von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer begrenzt (absolute Grenze). Zum anderen darf für Sozialplanforderungen nicht mehr als ein Drittel der Masse verwendet werden, die ohne einen Sozialplan für die Insolvenzgläubiger zur Verfügung stünde (relative Grenze).
Ein Sozialplan gemäß § 123 InsO, der gegen die darin niedergelegten absoluten Grenzen verstößt, ist nichtig. Überwiegend wird jedoch vertreten, dass das Sozialplanvolumen in der Regel in einem solchen Fall auf das zulässige Maß gekürzt werden kann. In jedem Fall wird dies möglich sein durch Vereinbarung eines Punktesystems statt konkreter Summen oder – wenn doch konkrete Summen vereinbart werden sollen – durch Aufnahme einer Kürzungsklausel in den Sozialplan.
§ 123 InsO gilt für alle erzwingbaren Sozialpläne, nach zutreffender Ansicht hingegen nicht freiwillige Sozialpläne. Umstritten ist auch, ob § 123 InsO für in der Insolvenz abgeschlossene sogenannte Tarifsozialpläne gilt. Als Tarifsozialpläne werden Tarifverträge bezeichnet, die Abfindungsregelungen für von einer Kündigung betroffene Arbeitnehmer beinhalten.
§ 123 InsO erfüllt nicht nur das gesetzgeberische Ziel der Schonung der Insolvenzmasse. Aufgrund der Deckelung des Sozialplanvolumens wird auch eine Beschleunigung des Sozialplanverfahrens erreicht, da sich die Betriebsparteien auf ein Sozialplanvolumen, das die Grenzen des § 123 InsO ausschöpft, erfahrungsgemäß schnell einigen können. Weil das Sozialplan- mit dem Interessenausgleichsverfahren in der Praxis häufig verknüpft wird, führt dies nicht selten zu einer Verkürzung der insgesamt mit dem Betriebsrat zu führenden Verhandlungen und damit schneller zur Durchführbarkeit der Betriebsänderung.
Ob die Grenzen des § 123 InsO zur Erreichung der verfolgten Zwecke unter Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen in der Höhe optimal sind, dürfte kaum objektiv feststellbar sein. Sollten die Betriebsparteien sich aber auf eine geringere Dotierung einigen können, müssen sie die Höchstgrenzen selbstverständlich nicht ausschöpfen.
IV. Sozialplan vor Verfahrenseröffnung
Gemäß § 124 InsO kann ein Sozialplan, der vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, jedoch nicht früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag aufgestellt worden ist, sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Betriebsrat widerrufen werden. Dies gilt auch für einen Sozialplan, der gegen den Willen eines der Betriebspartner durch Spruch der Einigungsstelle aufgestellt wurde. Wird der Sozialplan widerrufen, können die Arbeitnehmer, denen Forderungen aus diesem Sozialplan zustanden, bei der Aufstellung eines Sozialplans im Insolvenzverfahren berücksichtigt werden.
Leistungen, die ein Arbeitnehmer vor der Eröffnung des Verfahrens auf seine Forderung aus dem widerrufenen Sozialplan bereits erhalten hat, können nicht wegen des Widerrufs zurückgefordert werden. Bei der Aufstellung eines neuen Sozialplans sind derartige Leistungen an einen von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer bei der Berechnung des Gesamtbetrags der Sozialplanforderungen bis zur Höhe von zweieinhalb Monatsverdiensten allerdings abzuziehen.
Der Gesetzgeber beabsichtigte mit dieser Regelung eine weitgehende Gleichstellung von Arbeitnehmern, die durch insolvenznahe Sozialpläne begünstigt wurden, mit Arbeitnehmern, denen Forderungen aus einem in der Insolvenz entstandenen Sozialplan zustehen. Dies sei gerechtfertigt, weil Sozialpläne, die frühestens drei Monate vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgestellt wurden, typischerweise bereits Nachteile ausgleichen sollen, die mit dem Eintritt der Insolvenz in Zusammenhang stehen. Die vom Widerruf betroffenen Arbeitnehmer können in einem neuen Sozialplan berücksichtigt, die an sie gerichteten Leistungen können neu festgesetzt und an die Situation angepasst werden.
Sinnvoll ist an dieser Regelung vor allem, dass der Insolvenzverwalter auch gegen den Willen des Betriebsrats einen dem Geltungsbereich des § 124 InsO unterfallenden Sozialplan widerrufen kann, wenn er der Meinung ist, dass aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Situation eine weitere Verringerung des Sozialplanvolumens notwendig ist.
Auch aus Arbeitnehmersicht erweisen sich Widerruf des vorinsolvenzlichen Sozialplans und Abschluss eines Sozialplans nach § 123 InsO in aller Regel als vorteilhaft, da sich Ansprüche aus einem Sozialplan nach § 123 InsO gegen die Masse richten, während der vorinsolvenzliche Sozialplan lediglich Insolvenzforderungen begründet.
Zweiter Teil: Die kündigungsschutzrechtlichen Sonderregelungen im Einzelnen
In diesem Beitrag sollen die in den §§ 121 bis 128 InsO geregelten insolvenzrechtlichen Besonderheiten bei der Betriebsänderung kursorisch erörtert und bewertet werden. Im ersten Teil des Beitrags wurden die betriebsverfassungsrechtlichen Modifizierungen vorgestellt. Der zweite Teil befasst sich mit den kündigungsschutzrechtlichen Modifizierungen.
I. Interessenausgleich und Kündigungsschutz
Außerhalb eines Insolvenzverfahrens können die Betriebsparteien im Fall von Betriebsänderungen gemäß § 1 Abs. 5 KSchG einen Interessenausgleich vereinbaren, in dem die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet werden. Rechtsfolge eines solchen Interessenausgleichs mit Namensliste ist die Vermutung, dass die Kündigung der namentlich bezeichneten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist und die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann.
§ 125 Abs. 1 S. 1 InsO modifiziert diese Möglichkeit für Interessenausgleiche mit Namensliste in der Insolvenz. Zum einen wird nach dem Wortlaut vermutet, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse der bezeichneten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb oder einer Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen entgegenstehen, bedingt ist. Zum anderen kann die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden; sie ist nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird.
Nach dem ausdrücklichen gesetzgeberischen Willen sollen der zügigen Durchführung erforderlicher Sanierungen nicht langwierige und vor allem für einen potentiellen Betriebserwerber hinsichtlich der Erfolgsaussichten nicht überschaubare Kündigungsschutzprozessrisiken entgegenstehen. Wenn die Betriebsparteien einig sind, welchen Arbeitnehmern gekündigt werden soll, soll die Wirksamkeit dieser Kündigungen nur noch in Ausnahmefällen infrage gestellt sein können.
Vor dem Hintergrund des gesetzgeberischen Ziels, den Betriebsparteien in der Insolvenz gegenüber § 1 Abs. 5 KSchG nochmals erweiterte Möglichkeiten zur Sanierung von Unternehmen an die Hand zu geben, wirft der Wortlaut des § 125 InsO einige Fragen auf. Eine sozial gerechtfertigte betriebsbedingte Kündigung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer auch nicht zu veränderten Bedingungen in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann, vgl. § 1 Abs. 2 KSchG. Die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 S. 1 InsO erfasst aber jedenfalls ausdrücklich nur die fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Betrieb und die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen.
Weil bei wortlautgetreuer Auslegung das Instrument des Interessenausgleichs mit Namensliste in der Insolvenz gegenüber einem solchen außerhalb der Insolvenz abgeschwächt wäre, erfasst die Vermutungswirkung nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch die fehlende Beschäftigungsmöglichkeit zu veränderten Bedingungen. Konsequenterweise ist ebenfalls nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts jedenfalls dann auch das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit in anderen Betrieben des Unternehmens von der Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 S. 1 InsO erfasst, wenn der Gesamtbetriebsrat den Interessenausgleich abgeschlossen oder sich der Betriebsrat mit der Frage der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in anderen Betrieben befasst hat, wovon grundsätzlich auch ohne besondere Erwähnung ausgegangen werden soll. Den Betriebsparteien ist dennoch zu empfehlen, bei der Aufstellung der Namensliste Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im ganzen Unternehmen zu prüfen und dies im Interessenausgleich festzuhalten.
Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann wie bei § 1 Abs. 5 KSchG nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden. Anders ist hier, dass sie nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten überprüft werden kann. Die Schwerbehinderung muss im Rahmen der Sozialauswahl nicht berücksichtigt werden.
Eine weitere wichtige Erweiterung gegenüber einem Interessenausgleich gemäß § 1 Abs. 5 KSchG besteht darin, dass ein Interessenausgleich gemäß § 125 InsO auch die Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur, nicht nur deren Erhalt, erlaubt. Dies ermöglicht die Korrektur einer nicht zukunftsfähigen Personalstruktur, was bei Betrieben, die von einer Insolvenz betroffen sind, von besonderer Bedeutung sein kann. Zwar werden die Betriebsparteien insofern vorrangig eine Senkung des Altersdurchschnitts beabsichtigen. Der Begriff der Personalstruktur erfasst aber nicht nur das Alter der Belegschaft, sondern auch die Leistungsstärke und Qualifikation der Mitarbeiter. Erleichtert wird die Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur dadurch, dass diese nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wie die soziale Auswahl lediglich auf grobe Fehlerhaftigkeit zu prüfen ist.
Der Interessenausgleich mit Namensliste nach § 125 InsO ist gemessen daran sicherlich die wirkmächtigste insolvenzrechtliche Besonderheit im Zusammenhang mit Betriebsänderungen. Sie erleichtert Sanierungen sowie Übernahmen des Betriebs durch einen Erwerber erheblich. Zwar geht mit ihr die Verkürzung des Kündigungsschutzes der betroffenen Arbeitnehmer einher. Der Gesetzgeber traut den Betriebsparteien allerdings zu, sich lediglich auf solche Entlassungen zu einigen, die zur Wiedererlangung der wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit unvermeidbar sind.
II. Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz und Klage des Arbeitnehmers
Eine weitere Besonderheit bei Kündigungen aufgrund einer Betriebsänderung stellen §§ 126 f. InsO dar. Nach § 126 InsO kann der Insolvenzverwalter beim Arbeitsgericht beantragen festzustellen, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse bestimmter, im Antrag bezeichneter Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt ist. Voraussetzung hierfür ist, dass der Betrieb keinen Betriebsrat hat oder aus anderen Gründen innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen kein Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 zustande kommt, obwohl der Insolvenzverwalter den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet hat. § 126 InsO hat damit eine Auffangfunktion für den Fall, dass kein Interessenausgleich mit Namensliste zustande gekommen ist bzw. zustande kommen kann.
Der Insolvenzverwalter hat die Tatsachen, auf die er die soziale Rechtfertigung der Kündigungen stützt, darzulegen, wobei die normalen Maßstäbe des Kündigungsschutzgesetzes gelten. Eine Ausnahme besteht bei der Sozialauswahl. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer ist, wie auch bei § 125 InsO, nur im Hinblick auf die Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten zu überprüfen. Eine etwaige Schwerbehinderung bleibt damit unberücksichtigt.
Wie auch im Beschlussverfahren nach § 122 InsO ist der Antrag gemäß § 126 InsO von den Arbeitsgerichten vorrangig zu erledigen. Gegen den Beschluss des Gerichts findet die Beschwerde an das Landesarbeitsgericht nicht statt. Die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht findet statt, wenn sie in dem Beschluss des Arbeitsgerichts zugelassen wird, § 126 Abs. 2 S. 2 InsO.
Das gesetzgeberische Ziel ist hier die Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung. Der Insolvenzverwalter soll aufgrund einer Betriebsänderung zu erwartende Kündigungsschutzverfahren erleichtern und beschleunigen können, in dem er zuvor die soziale Rechtfertigung dieser Kündigungen gesondert in einem gebündelten Verfahren verbindlich feststellen lässt.
Der Vorschrift kommt letztlich keine praktische Bedeutung zu. Zwar hat das Verfahren nach § 126 InsO den Vorteil, dass die arbeitsgerichtliche Prüfung der Sozialauswahl eingeschränkt ist. Weitere wesentliche Vorteile dieser Regelung sind jedoch nicht ersichtlich. Vielmehr überwiegen ihre Nachteile. Es ist nicht davon auszugehen, dass ein Verfahren nach § 126 InsO deutlich zügiger und weniger aufwendig als ein Kündigungsschutzverfahren in erster Instanz verläuft. Im Verfahren nach § 126 InsO ist jeder betroffene Arbeitnehmer zu beteiligen, der mit der Kündigung nicht einverstanden ist; jedem dieser Arbeitnehmer ist rechtliches Gehör zu gewähren. Dem muss eine einzige Kammer des Arbeitsgerichts gerecht werden. Zu Recht wird daher die Kritik geübt, dass ein solches Beschlussverfahren bei Massenentlassungen praktisch kaum sinnvoll durchführbar sein wird. Dies gilt nicht nur aus Sicht des Arbeitsgerichts, sondern auch aus Sicht des Insolvenzverwalters, der im Rahmen einer ordnungsgemäßen Prozessführung auf den Vortrag aller beteiligten Arbeitnehmer eingehen muss.
Nach alledem ist festzuhalten, dass das Verfahren nach § 126 InsO keine wesentlichen Vorteile schafft und zudem sehr viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Dazu kommt noch, dass selbst wenn der Insolvenzverwalter in dem Verfahren nach § 126 InsO obsiegt, Kündigungsschutzprozesse nicht vermieden werden. Die Bindungswirkung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung beschränkt sich auf das Vorliegen der dringenden betrieblichen Erfordernisse und die ordnungsgemäße soziale Auswahl der Arbeitnehmer. Die Arbeitnehmer können sich also in einem Kündigungsschutzprozess auf alle anderen möglichen Unwirksamkeitsgründe wie etwa die fehlende oder fehlerhafte Betriebsratsanhörung (§ 102 BetrVG), fehlende oder fehlerhafte Massenentlassungsanzeige (§ 17 Abs. 1 KSchG), fehlendes oder fehlerhaftes Konsultationsverfahren (§ 17 Abs. 2, 3 KSchG) oder falsch berechnete und nicht auslegbare Kündigungsfristen (§ 622 BGB) berufen. Zudem können sie eine wesentliche Änderung der Sachlage geltend machen, die die Bindungswirkung eines Beschlusses nach § 126 InsO entfallen lassen würde. Eine wesentliche Änderung liegt z.B. vor, wenn anstelle der ursprünglich geplanten eine andere Betriebsänderung vorgenommen wird oder statt einer Betriebsstilllegung ein Betriebsübergang erfolgt, aber auch, wenn erheblich weniger Arbeitnehmern gekündigt werden soll, als zunächst geplant.
Schließlich ist aus taktischer Sicht noch zu beachten, dass der Insolvenzverwalter Arbeitnehmer zur Klage motivieren könnte, die sonst vielleicht nicht geklagt hätten, wenn er die Kündigungen nach erfolglos durchgeführtem Verfahren nach § 126 InsO ausspricht. Davon abgesehen würde er den Abschluss der Kündigungsschutzverfahren um weitere drei bis fünf Monate verzögern. Zwar kann er das Verfahren auch erst nach Zugang der Kündigungen und nach Ablauf der Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG durchführen. Dann läuft er aber auch in diesem Fall Gefahr, Arbeitnehmer zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage zu motivieren. Er kann in diesem Fall die Sozialauswahl ausschließlich nach den allgemeinen Kriterien durchführen und nicht die Schwerbehinderung unberücksichtigt lassen. Denn wenn das Arbeitsgericht seinem Antrag nach § 126 InsO nicht stattgibt, würde er in den Kündigungsschutzverfahren wegen nicht ordnungsgemäßer Sozialauswahl unterliegen.
III. Betriebsveräußerung
Gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 InsO wird die Anwendung der §§ 125 bis 127 InsO nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Betriebsänderung, die dem Interessenausgleich oder dem Feststellungsantrag zugrunde liegt, erst nach einer Betriebsveräußerung durchgeführt werden soll.
Der Gesetzgeber beabsichtigte eine Verfahrensbeschleunigung dadurch, dass der Insolvenzverwalter vor der Veräußerung des Betriebs nicht nur die Kündigungen aufgrund eines Erwerberkonzepts aussprechen, sondern auch deren Wirksamkeit im Verfahren nach § 126 InsO klären oder einen Interessenausgleich nach § 125 InsO abschließen kann. Die eigentliche Regelung besteht also darin, dass die Rechtsfolgen eines Interessenausgleichs mit Namensliste gemäß § 125 Abs. 1 InsO und die Feststellung und Bindung nach den §§ 126, 127 InsO auch dann gelten, wenn nach Vereinbarung des Interessenausgleichs oder der gerichtlichen Feststellung ein Betriebsübergang erfolgt und der Erwerber erst nach dem Betriebsübergang die Kündigungen ausspricht.
Eine weitere, wenn auch geringfügige, Erleichterung von Kündigungen vor oder nach einem Betriebsübergang aus einer Insolvenz heraus schafft § 128 Abs. 2 InsO. Danach erstreckt sich im Falle eines Betriebsübergangs die Vermutung des dringenden betrieblichen Bedürfnisses für die Kündigung der Arbeitsverhältnisse der in einer Namensliste bezeichneten Arbeitnehmer oder die gerichtliche Feststellung nach § 126 Abs. 1 S. 1 InsO auch darauf, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse nicht wegen des Betriebsübergangs (vgl. § 613a Abs. 4 BGB) erfolgt.
Die Auswirkungen dieser Vorschrift sind gering. Denn wenn vermutet wird, dass die Kündigungen durch dringende betriebliche, einer Weiterbeschäftigung entgegenstehende Erfordernisse bedingt (§ 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO) bzw. sozial gerechtfertigt (§ 126 Abs. 1 InsO) sind, können diese Kündigungen konsequenterweise auch nicht allein wegen des Betriebsübergangs erfolgt sein. Bedeutung erlangt sie im Grunde nur bei Kündigungen, auf die das KSchG keine Anwendung findet. In diesem Fall wäre der Arbeitnehmer zwar ohnehin darlegungs- und beweisbelastet für einen Verstoß gegen § 613a Abs. 4 BGB. Wegen § 128 Abs. 2 InsO kann er sich insoweit aber nicht auf Beweiserleichterungen wie etwa den Anscheinsbeweis berufen.
Zusammenfassung
Die in diesem Beitrag vorgestellten Regelungen werden dem gesetzgeberischen Ziel, Betriebsänderungen in der Insolvenz zu vereinfachen und zu beschleunigen, nur teilweise gerecht. Den gelungenen Regelungen zur Deckelung des Sozialplanvolumens und den modifizierten Wirkungen der Namensliste steht das verunglückte Beschlussverfahren nach § 126 InsO gegenüber, auf das in der Praxis kaum ein Insolvenzverwalter zurückgreift. Die übrigen Regelungen sind in ihrer Effektivität zwar recht begrenzt, können aber dennoch zur schnelleren Durchführbarkeit von Betriebsänderungen beitragen. Schließlich bleibt festzuhalten, dass sich die Sonderregelungen zu Betriebsänderungen in der Insolvenz in der Praxis insgesamt durchaus bewährt haben und jedenfalls kein dringendes Bedürfnis für eine Reform besteht.
Hinweis: Dieser Beitrag ist eine gekürzte und geänderte Fassung des Beitrags von Herrn Dr. Strippelmann in dem Handbuch „Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten" (Holger Dahl, 2020)